Eltern der Berggemeinde haben begeistert einen
Italienischkurs für ihre Kinder organisiert. Dem mutigen Vorstoß, vom Schulamt nur unter Auflagen genehmigt, droht schon Widerstand und Verbot. Es sei denn, einer gibt grünes Licht.
(Von Jutta Kußtatscher)
Jeden Dienstag und Donnerstag setzt sich in Mölten eine Schar in Bewegung. Es sind die Kinder vom Kindergarten -- in geheimer Mission gewissermaßen. Sie verlassen dann ihren Kindergarten, um das Altersheim etwas unterhalb auf der anderen Seite der Straße zu erreichen. Denn nur dort erlaubt das Schulamt, was der Kinder Absicht ist: Für 45 Minuten, zweimal je Woche, tauchen sie an dem anderen Ort in eine neue Welt, die eine andere Sprache spricht, das Italienische. Mölten ist zum Vorreiterdorf des deutschsprachigen Südtirols für eine Öffnung in der Sprachenfrage avanciert. Was für ungezählte politische Dispute gesorgt hat, was in italienischen Kindergärten allmählich erkämpft wurde, findet erstmals auch in einem deutschen Kindergarten statt: Die Kinder in der Berggemeinde am Tschögglberg erhalten einen ersten Kontakt zur zweiten Sprache, dem Italienischen, schon im Kindergarten. Das Autonomiestatut sieht dies, für deutsche Kinder, erst ab der zweiten Grundschulklasse vor, der Kindergarten war tabu. Die Möltner Initiative stammt nicht vom Schulamt oder von der Kindergartendirektion, sondern ist Ausdruck eines Bedürfnisses in der Bevölkerung. Eltern haben in die Wege geleitet, was von der offiziellen Schulpolitik bislang missbilligt und von den Behörden verboten wurde: einen Schnupperkurs in Italienisch für die Kleinen im Kindergarten. Eine Premiere, die allerdings nahezu von Anfang an von Einschränkung und drohendem Verbot überschattet wird: Die Kinder dürfen während der Italienischstunden nicht im Kindergarten bleiben, sondern müssen in ein anderes Quartier ausweichen - ins Altersheim. Für die deutsche Schule in Südtirol wäre das Möltner Projekt der Auftakt in ein neues Zeitalter. Was sich andernorts viele Eltern nur zu träumen wagten, machten Möltner Eltern zur Realität: "Bis das Italienische in den Kindergarten kommt, sind meine Kinder schon groß", erklärt Pauline Schwarz, Mutter aus Mölten, den Grund für ihr Engagement. Ein Stein wurde ins Rollen gebracht. Vorbei am Schulamt und dem Augenzwinkern der Kindergartendirektion beauftragten die Möltner Eltern über den Nachhilfeverein "Studienhilfe" eine italienische Pädagogin. Diese kommt nun zweimal pro Woche nach Mölten und führt die Kinder spielerisch in die italienische Sprache ein. "Die Kinder sind begeistert, wir sind begeistert", heißt es von den Eltern. Es ist kein Unterricht im engeren Sinn, sondern eine inszenierte Begegnung mit der anderen Sprache: Die Lehrerin, die nicht genannt werden will, schlüpft vor den Kindern in ein anderes Gewand, wird damit zur "insegnante magica", dem Zauberlehrling sozusagen, und kann nur noch die andere Sprache, kein Deutsch. Interaktiv, Wort für Wort, Situation für Situation - die Begegnung mit der "inse-gnante magica" ist verspielt und basiert auf zwei Figuren: dem "Hokus" und dem "Lotus". Die beiden Dinocroco, Mischungen aus Dinosaurier und Krokodil, wurden von Experten des Zweitspracherwerbs auf der Universität La Sapienza in Rom entwickelt, für die didaktische Methode, die auf das Lernvermögen von Kindern ab vier Jahren abgestimmt ist. Jüngst verbreitete das Presseamt der Landesregierung sogar die freudige Nachricht, dass "Hokus" und "Lotus" im TV-Sender Video Bolzano 33 Englisch lehren werden. Nur deutsche Kindergärten sind für das Spielen mit fremden Sprachen noch Sperrgebiet. Die italienischen Kindergärten bedienen sich für das Vermitteln des Deutschen bereits seit Jahren der Methode mit der "zauberhaften Lehrerin". 1997 hatte die Südtiroler Landesregierung einen Beschluss gefasst, laut dem die kleinen Italiener bereits im Kindergarten Kontakt mit der zweiten, der deutschen, Sprache haben dürfen, wenn auch formal außerhalb der offiziellen Unterweisungszeit.
Zweitsprache hat Zukunft. Diese Deutschstunden stießen auf reges und stetig zunehmendes Interesse von italienischen Eltern und Kindern. Seit dem geltenden Schuljahr wird das Deutsch bereits sogar in allen Kindergärten angeboten. Das Pensum umfasst zwei bis rund sieben Stunden je Woche. Es gibt offenen und geschlossenen Sprachunterricht, wobei auch hier wieder gilt: Die Sprachpädagogin "spielt" mit den Kindern in der anderen Sprache. Die offenen Stunden sind jene während der Öffnung des Kindergartens am Morgen. Für die geschlossenen Stunden werden die Kinder in Kleingruppen bis zu acht Nasen von der Sprachpädagogin betreut. "Wir hatten nicht ausreichend Personal", erklärt die italienische Schullandesrätin Luisa Gnecchi. Deshalb wurde zusätzlich zu den 16 Stammlehrerinnen die Zusammenarbeit mit den großen Weiterbildungseinrichtungen wie Studienhilfe und Alpha & Beta aufgenommen. Gnecchi hat keinen Zweifel: "Der Unterricht in der zweiten Sprache ist die Zukunft." Anfangs wurden diese Schnupperkurse vom Ressort der italienischen Kultur unter Luigi Cigolla finanziert. Dieses Jahr allerdings hat die italienische Schullandesrätin Gnecchi die Organisation und die Finanzierung dieser Kurse in Schule und Kindergarten übernommen - und seitdem sind sie für Kinder ab fünf Jahren auch kostenlos. Für die Kids mit 3 und 4 Jahren müssen die Eltern zwei Euro je Sprachstunde zahlen. Den Großteil der Kosten übernimmt somit das italienische Schulressort. Die Möltner Eltern hingegen zahlen für die Italienischstunden derzeit 120 Euro je Kind. Finanzielle Unterstützung vonseiten des Landes ist keine in Sicht: "Da müssen sie den Kulturlandesrat fragen", sagt die Schullandesrätin Kasslatter-Mur und fügt hinzu, "ich bin für Außerschulisches nicht zuständig." (Siehe Interview) Nur so nämlich wird die Möltner Elterninitiative offiziell geduldet: als außerschulisches Angebot. Der italienische Schnupperkurs wurde kurz nach Jahresbeginn 2003 aufgenommen. Die Pädagogin kam zunächst sorglos direkt in den Kindergarten, um mithilfe von "Hocus" und "Lotus" die kleinen ins Italienische zu verzaubern. Doch alsbald erfuhr das Schulamt von dem Projekt. Die für Mölten zuständige Kindergartendirektion unter der Leitung von Herta Kuntner stellte sich moralisch hinter die Eltern aus Mölten. Immerhin hatte die Direktorin selbst bereits vor 15 Jahren einen ähnlichen Kampf erlebt: Damals ging es darum, dass ein italienisches Kind einen deutschen Kindergarten besuchen durfte, erstmals und unter Protest von deutschen Eltern und den Behörden. "Die zweite Sprache ist doch für alle wichtig", verteidigte Kuntner als Kindergärtnerin damals schon den Vorstoß. Das Kind durfte bleiben. Dem Möltner Projekt drohte ein frühes aus, das Schulamt forderte noch im Jänner 2003 das Ende des Zaubers - oder die Einhaltung von Auflagen. Landesrätin Kasslatter Mur rechtfertigt die Haltung ihres Schulamtes: "Wofür haben wir denn sonst den Artikel 19 im Autonomiestatut?" Der einst zum Schutz der sprachlichen Minderheiten in Südtirol formulierte Paragraph ist zum Bollwerk gegen einen modernen Sprachunterricht im Land geworden - Artikel 19 wird immer dann zitiert, wenn es gilt, einen offeneren Umgang mit der zweiten Sprache im Unterricht zu verhindern. Unterstützt vom geltenden Kindergartengesetz heißt dies für die Möltner Kinder: Die Italienischstunden dürfen nicht im Kindergartengebäude und auch nicht während der Unterweisungszeiten, den Öffnungszeiten des Kindergartens, stattfinden. "Das sind die Rahmenbedingungen", sagt Schulamtsleiter Peter Höllriegel, "wenn die verletzt werden, müssen wir intervenieren."
Exil für Kinder. Die Möltner fanden einen Ausweg in der Nachbarschaftshilfe: Seit der Intervention des Schulamtes verlassen die Kinder für die Italienischstunden den Kindergarten. Sie werfen ihre Mäntelchen um und marschieren ins Altersheim. Die von einer privaten Stiftung geführte Struktur hat den Kleinen Exil gewährt. Sowohl Schullandesrätin Kasslatter-Mur als auch Schulamtsleiter Höllriegel können - nachdem alle Paragraphen erfüllt sind - erleichtert sagen: "Die Italienischstunden finden ja außerhalb des Kindergartens statt." Gerade deshalb klingt es nach längst vergangenen Zeiten, wie in Mölten Kinder und Eltern im Namen des Minderheitenschutzes vor sich selber geschützt werden. Dass der Zweitsprachunterricht nicht im offiziellen Gebäude und nicht während der offiziellen Unterrichtszeit stattfinden darf, erinnert an die Südtiroler Katakombenschulen. Damals musste die deutsche Muttersprache im Verborgenen gelehrt werden, nun wird die zweite Sprache geächtet wie etwas Verbotenes: Das Altersheim dient nun als "Katakombenschule" für das Italienische. Wie sich das Rad der Geschichte dreht. In Mölten wird der Fall heruntergespielt. "Es wird doch für niemanden einen Unterschied machen, wenn unsere Kinder diese Italienischstunden erleben anstatt spazieren zu gehen." Doch als ff die Recherche begann, schwante den Beteiligten nach erster Bereitschaft zur Erläuterung des Projektes: Öffentlichkeit könnte das Projekt bedrohen. Sabina Kasslatter-Mur blieb auf gezielte Anfrage von ff, ob eine öffentliche Bekanntmachung des Möltner Einzelfalles zum Verbot führen könnte, bewusst vage: "Das hängt davon ab, wie Sie schreiben." Die Folge für die Recherche in Mölten: Rückzug, Schweigen, keine stolze Präsentation des Erreichten. Und noch vor Recherchenende erreicht ff ein Anruf: Die Landesrätin hat bereits interventiert und eine Beendigung des Projektes angekündigt. Angesichts der Haltung der Schullandesrätin, des Schulamtsleiters und der bisherigen Schulpolitik ist die Sorge der Eltern berechtigt. Erst vor wenigen Jahren führte allein das Singen eines italienischen Liedes im Kindergarten von Schlanders zu einem Einspruch des Kulturlandesrates. Die Öffnungen sind nur zaghaft. Kindergarteninspektorin Christa Messner etwa sagt trotz grundsätzlich offener Haltung: "Ich bin dafür, dass die Kinder zuerst einmal die deutsche Hochsprache erlernen, ehe sie mit dem Italienischen konfrontiert werden." Und die Landesrätin zeigt versöhnlich die Grenzen der Öffnung auf: Ab dem nächsten Schuljahr sollen auf der Ebene von Pilotprojekten in 40 Klassen bereits in der ersten Grundschulklasse Italienischstunden eingeführt werden. Italienische Grundschüler haben in der ersten Klasse bereits seit Jahren sechs Deutschstunden. Das Nachziehen an den deutschen Schulen kommt möglicherweise auch ohne Öffnung. Laut dem jüngsten Gesetz der Unterrichtsministerin Letizia Moratti, dem Delegierungsgesetz von voriger Woche, wird eine zweite Sprache an allen Klassen in den italienischen Grundschulen eingeführt. Greift dieses Gesetz auch für Südtirol, muss ab Herbst in allen deutschsprachigen Klassen, auch in der ersten Grundschule, das Fach Italienisch eingeführt werden. Kasslatter-Mur: "Bevor wir vom Kindergarten reden, reden wir doch lieber von der ersten Grundschulklasse." Wird diese Position durchgezogen, ist das Möltner Projekt gefährdet - und auch die Lust auf Nachahmung, die es in anderen Gemeinden auslösen könnte. Denn eine Bedingung kann das Projekt nicht erfüllen: Die "inse-gnante magica" kommt tatsächlich während der Unterweisungszeiten zu den Kids. Eine Hoffnung haben die Möltner noch. Es war Landeshauptmann Luis Durnwalder, der im Silvesterinterview mit der ff eine Öffnung angekündigt hatte: "Von mir aus kann man mit der zweiten Sprache auch schon im Kindergarten ein bisschen schnuppern." Von ff nun zum Fall Mölten befragt, zeigt sich Durnwalder konsequent: "Spielerisch lernen, eine gute Idee." Und dazu, dass die Kinder einen Ortswechsel für die Italienischstunde vornehmen, zeigt er sich von seiner knappen Seite: "So ein Blödsinn."
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